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Rezension:Denken mit Ludwig Marcuse: Über Aufklärung und Abstumpfung, Einsamkeit und Engagement, Macht und Massenkultur, Vergänglichkeit und Vernunft (Broschiert)

Der Publizist und Literaturkritiker Ludwig Marcuse (1894-1971) emigrierte 1933 nach Frankreich und von dort aus 1938 in die USA. Hier war er seit 1940 Professor für Philosophie an der University of Southern California. 1963 kehrte er nach Deutschland zurück und schrieb über zahlreiche Schriftsteller, Philosophen und Musiker, ferner u.a. "Obszön. Geschichte einer Entrüstung".

"Denken mit Ludwig Marcuse" ist im Grunde ein Wörterbuch mit schlagfertigen Definitionen über Aufklärung, Abstumpfung, Kultur, Macht, Freiheit und vieles andere mehr.

Die Züricher Zeitung resümiert, das Marcuse wie nur wenige neben ihm den klaren, aufklärerischen Geist Berlins in der Weimarer Republik, immer geistreich, oft polemisch und feuerköpfig, begeistert oder entrüstet, aber nie fanatisch oder besserwisserisch verkörperte.

Liest man dieses Buch aufmerksam, kommt man zum gleichen Ergebnis. Es ist unmöglich im Rahmen dieser Rezension auf alle Sentenzen dieses Denkers einzugehen, deshalb werde ich mich auf einige beschränken, beginnend mit einem Satz, den ich kommentarlos abnicke, weil ihm wirklich nichts hinzuzufügen ist.

"Intellektuelle sind seltener wohlwollend gegeneinander als Einheimische gegen Gastarbeiter."

In allen Jahrhunderten haben Philosophen über die Freundschaft nachgedacht, vielleicht weil es neben der Liebe das Beste ist, was einem Menschen in seinem Leben widerfahren kann. Marcuse findet eine Erklärung dafür, weshalb die Freundschaft so selten ist, der ich ohne Einwand zustimme. Selten ist sie deshalb, "weil es, unter dem harten Gesetz des Wettbewerbs, Kraftverschwendung ist, im Nebenmenschen etwas anderes zu sehen als einen Konkurrenten oder einen Alliierten. So ist Freundschaft meistens: Spießgesellenschaft."
Marcuse beschreibt eine Realität, die ich sehr bedauere, weil sie uns Menschen so viele positive Möglichkeiten nimmt, wir uns aufgrund unserer Egoismen letztlich des Besten berauben, was wir haben können.

Unter dem Buchstaben F fand ich unter anderem eine kleine Sentenz, deren Inhalt ich für sehr bemerkenswert erachte: "Ein Führer entsteht nur, wenn eine Gefolgschaft bereits da ist."
Wenn diese Annahme zutrifft, ist es noch notwendiger als es ohnehin schon ist, dass jeder Mensch sich aus seiner Unmündigkeit befreit.

Unter den Buchstaben G liest man u. a . "Wer nichts weiß, ist nicht so beschränkt wie der, welcher, eingeschlossen in sein Gedankenkorsett keine Erfahrungen mehr macht."
Nichts ist enervierender als mit zugebretterten, besserwisserischen Möchtegernintellektuellen seine Zeit verbringen zu müssen. Wie angenehm dagegen sind die Stunden mit weltoffenen, weniger gebildeten, intelligenten Menschen, die bereit sind zu einem positiven Dialog.

"Das Gewissen wird umso friedloser, je gewissenhafter einer sich aushorcht."
Das ist der Preis der Selbsterkenntnis, lieber Herr Marcuse.

Sehr lesenswert sind Marcuses Sentenzen zum Glück, die in dem Satz gipfeln "Wer aufs Glücklichsein verzichtet (unter dem Diktator Pflicht), erfüllt sein Dasein nicht. Denn jeder ist - der Anlage nach - eine neue Variante des Glücks."

Der preußische Protestantismus machte den Verzicht auf Glücklichsein erforderlich. Die Ergebnisse werden durch die geschichtliche Entwicklung in unserem Land überdeutlich demonstriert.

Unter dem Buchstaben P findet man Marcuses Gedanken zur Politik und Moral. "Es ist unmoralisch, Politik immer dann moralisch zu werten, wenn es einem gerade so passt. Und es ist unmoralisch, nicht zu sehen, dass ein Element der Politik immer Macht sein wird. Auch im Paradies, soweit sich darin Menschen befinden.
Die Revolutionen scheitern nie daran, dass ihre Ziele nicht gut waren, sondern daran, dass die Revolutionäre sich nicht vor der Macht fürchteten. Nicht -Fürchten meint hier: über der Leichtigkeit der Eroberung die problematische Herrschaft zu übersehen, die dem Sieg über die Herren folgen muss."
Sartre beschreibt in seinem Stück "Die schmutzigen Hände" das Phänomen. Die Ideale bzw. Ziele werden von Revolutionären am Ende stets in den Hintergrund gerückt, weil sie von der Macht korrumpiert werden. Machtgeilheit ist meines Erachtens immer ein Persönlichkeitsdefizit und immer der falsche Weg mit dem Instrument der Herrschaft konstruktiv umzugehen.

Ein Buch, das zum Nachdenken anregt.


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