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Rezension: #Nein. Ein Manifest. #Eric_Jarosinski- S. Fischer

S. Fischer hat heute am 20.8.2015 ein Manifest auf den Weg gebracht, das den Titel "Nein." trägt. Der Autor des kleinen schwarzen Büchleins ist Eric Jarosinski. Das Gesicht, das auf dem Cover abgebildet ist, kennt fast jeder, der zur Twittergemeinde zählt. Dort twittert Jarosinski seit Januar 2012 unter der Kunstfigur
"Nein.  Quarterly" Aphorismen in 140 Zeichen. 

Derzeit hat er rund 115 Tausend Follower und über 35 Tausend Tweets verfasst sowie zudem 61 Tausend Tweets anderer Twitterer favorisiert. 

Das Geheimnis seiner großen Fangemeinde besteht aus einem Mix aus überzeugender Eloquenz und Strategie. 

Eric Jarosinski lehrte an der Universität of Pennsylvania Philosophie und Germanistik mit Schwerpunkt auf Literatur aus der Weimarer Republik. Texte von ihm erschienen u.a. im "New Yorker", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dem "Spiegel" sowie der "Neuen Züricher Zeitung". In der ZEIT schreibt er eine Kolumne. 

Im Nachwort zum Buch gibt er eine kurze Erklärung zu seinen Twitteraktivitäten ab. Das Ende seiner akademischen Karriere und damit verbunden das Ende eines Buchprojektes war der Beginn seiner Tätigkeit als Internet-Aphoristiker, schreibt Jarosinski. Er erfand ein fiktives Journal- Nein. Quarterly: A Compendium of Utopian Negation- und entwickelte eine Person, deren Sichtweise "misanthrophisch, aber auch romantisch, autoritär, aber auch absurd, prinzipientreu aber auch zutiefst nihilistisch" ist. Was aus "Not" geboren, wurde ein Erfolg und fand ein breites Publikum weltweit. 

Jaronsinski  erreicht über seine Twitteraktivitäten Menschen, die er u.a. dazu motiviert, Kafka zu lesen, Deutsch zu lernen oder Philosophie zu studieren. Das dies ihn mehr als zufrieden stimmt, kann man gut nachvollziehen. 

Sein Buch beginnt mit einer Sentenz von Theodor W. Adorno "Man kann das Glück des Denkens nicht empfehlen". Der Satz irritiert. Soll man widersprechen? Soll man einfach abnicken? Soll man rasch weiter blättern? Wieso hat Jarosinski dem Leser sofort eine Falle gestellt? 

Die Einleitung ist eine Art Meditation des Nein in der Welt des Ja. Dann geht es zur Sache. 

Muss man, um das Buch zu verstehen, etwas über Nihilismus lesen?  Sich intensiv mit Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und der kritischen Theorie befassen? Ich entscheide mich für Nein. 

Nun erfahre ich zunächst, dass das deutsche Nein inhaltlich offenbar etwas anderes als das englische No bedeutet und nehme dies, ohne es näher erklärt zubekommen, zur Kenntnis. 

Es folgen die ersten 140 Zeichen-Aphorismen, die mich sogleich gefangen nehmen, weil hier offenbar ein sehr kluger, gebildeter Mensch schreibt, der sich auf Hintersinn versteht. 

Seine Tweets sind Oberbegriffen mit Rauten zugeordnet. Diese Verfahrensweise lässt die Tweets im Twitterordnungssystem einen Platz finden, wo man sie leicht wiederfindet. Das ist hilfreich.

Wenn  Jarosinski von Gott spricht, erinnert er an Nietzsche: 

Er hat gelebt, sagen sie. 
Wie er gestorben ist. 
Als eine Philosophie.
Umgebracht. Von einem Philosophen.
(S.16)

Natürlich könnte man seine Sätze ähnlich durchleuchten und interpretieren wie die Aphorismen anderer Aphoristiker. Man wird dies gewiss auch tun. Später. Jetzt ist erst mal ungezügelte Begeisterung über so viel Esprit angesagt. Den hat nicht jeder, der auf NEIN gebürstet ist.

Die dritte Tranche beginnt mit dem Satz "Nein lässt keine Frage zu." Stimmt das?  Ich meine, nein. Ein Nein, das keine Frage zulässt, wirkt wie ein trotziges, ungezogenes Kind, das Pädagogen anlockt. 

Wunderbar, die Sentenz zu Machtstrukturen: 
1. Stellen Sie Autorität in Frage. 
2. Werden sie eine Autorität. 
3. Stellen Sie sich in Frage. 
4. Fragen Sie Ihre Autorität, 
ob Sie sich in Frage stellen dürfen. 
(42)

Irgendwann dann erfährt man, dass Nein nicht die Botschaft sei. Das beruhigt irgendwie. Ein immerwährendes Nein fände ich erschreckend und sehr uncharmant. 

Jarosinski ist ein Romantiker und man weiß von ihm, wie sehr er das Twittern schätzt. Insofern ist sein Twitter-Gedicht- als solches interpretiere ich die nachstehenden Zeilen, wunderschön. 
Ich habe ein paar Pfeile getippt 
Zahlen 
Und verschiedene Satzzeichen 
Um zu sagen: 
Ich liebe dich. 
(S.107)

Eric Jarosinski zu lesen,  ist bereichernd, das gilt auch für seine Definitionen im Glossar und hier etwa zu Begriffen wie Freud`sche Fehlleistung: "Wenn das Unbewusste in fremden Zungen redet" oder Hoffnung "Leuchtfeuer aus Nebel" oder Nichts "Alles, was Sie sich je erträumt haben. Aber weniger."

Viel Kluges wartet hier auf den Leser, gewiss auch Weises, nicht stets Allgemeingültiges, aber oft Dialektisches. Fast alles könnte man bedenkenlos retweeten. Ob Eric Jarosinski das erfreuen würde, weiß ich nicht. Aber darum geht es ja auch nicht. Oder vielleicht doch?

Sehr empfehlenswert 

Helga König

Bitte klicken Sie zu den S. Fischer Verlagen, dann können Sie dort das Buch bestellen: http://www.fischerverlage.de/buch/nein_ein_manifest/9783100023896. Sie können es aber auch direkt bei Ihrem Buchhändler vor Ort ordern.